Ingrid Krau
Verlöschendes INDUSTRIEZEITALTER - Rhein, Ruhr und Emscher
Wallstein Verlag Göttingen 2018

Wie lässt sich die Stagnation der Großregion ,Ruhrgebiet‘, einst wirtschaftlich dynamischster Teil Deutschlands, verstehen und erklären? Was führt heraus?

Die Autorin, die im Ruhrgebiet aufwuchs und dort lange arbeitete aus Interesse an dieser exzeptionellen Industrieregion und ihrer Stadt- und Regionalentwicklung, ging in die kommunale Entwicklungsplanung Duisburgs und von da in die Stahlindustrie selbst, erarbeitete danach Konzepte der Nachnutzung der Übertageanlagen des Bergbaus für die IBA Emscher Park und führte ein eigenes Planungsbüro.

Sie blieb auch während der Städtebauprofessur an der TU München aufmerksame Beobachterin der Langzeitentwicklung des Reviers in differenzierter Sicht auf die Stagnation nach dem Niedergang der Montanindustrie. Sie zeigt ein vielschichtiges Bild der Region verbunden mit dem Ziel, Wege in eine mögliche und wieder prosperierende Zukunft zu finden.

Der Einstieg gilt der großtechnologischen Verbundwirtschaft. Der Blick gilt zunächst der fest gefügten Unternehmensstrategie der Montanindustrie, mit ihrer Maßstabssteigerung der Anlagen zugunsten der Effizienzgewinne durch Massenproduktion bei Kohle und Stahl. Warum gilt Großtechnologie in der Stahlherstellung und in der Energiewirtschaft des Ruhrgebiets noch immer als verlässlicher unternehmerischer Pfad, obwohl gerade dieser die Unternehmen in die Krise führte? Die Autorin formuliert hier eine aktuelle Kritik dieser Großtechnologie aus heutigem Verständnis von Technologieentwicklung und Ressourceneffizienz.

Sie diagnostiziert eine fest gefügte Pfadabhängigkeit des Handelns, die die Großunternehmen und die Landes- und Kommunalpolitik der Region zusammenband. Erklärter Maßen, um Arbeitsplätze zu erhalten, auch wenn die Rationalisierung diese stets radikal dezimierte, ohne Alternativen zu schaffen. Durch Mechanisierung, Automation und radikale Betriebsschließungen entschwand nicht nur die abhängige Arbeit in unvorstellbaren Größenordnungen, sondern auch die unternehmerische Verantwortung für die Vielen, begleitet vom Verlust der Balance zwischen Großindustrie und vielfach durchdrungenem Lebensraum. Diesen charakterisiert sie aus der Perspektive der raumgreifenden, keine Grenzen kennenden Verbundwirtschaft. Entstanden ist so das Anthropozän mit seinen „Ewigkeitskosten“.

Politik und Wirtschaft vertrauten seither auf „den“ Strukturwandel als einer Unabänderlichkeit, für die sie zwar Gestaltungsanspruch beanspruchten, aber nicht immer mit den angemessenen Mitteln wahrnahmen. Die Re-Industrialisierung führte zu häufig zu wiederkehrenden Verlusten der mit Steuermitteln neu angesiedelten industriellen Hoffnungsträger. Auch das gehört offensichtlich zum verlöschenden Industriezeitalter. Hier verlöschte es ein zweites Mal, weil sich die alten Muster des Handelns und des Sekundierens der Politik reproduzierten.

Handwerks- und Industriebesatz der Region sind heute geringer als im angrenzenden Sauerland und Münsterland. Entsprechend fehlen Ausbildungsplätze im Revier. Dazu gehört auch eine mentale Bereitschaft der Bewohner, sich in Bescheidung zu arrangieren. Wozu sich anspruchsvoll qualifizieren, fragen sich immer noch zu viele der Jugendlichen. Sinkende Lernstandards an verständnisvollen und zugleich finanziell unterausgestatteten Schulen haben in der Breite nicht gut getan. Die Autorin beleuchtet die Wege der Aussonderung aus der Arbeitswelt, den ersatzlosen Verlust der alten Ausbildungsstrukturen des Bergbaus und die Demotivierung junger Menschen.

Ihr Blick gilt um so mehr der anderen Seite, den jungen Motivierten, die sich im Lernen nicht haben beirren lassen; zu viele von ihnen verlassen zwar noch die Region für Arbeit, Ansprüche, Fortkommen. Doch gibt es auch jene, die bleiben und Wagemut und erworbenes Wissen einsetzen, um Start-Ups zu gründen und auf die eigene Zukunft zu setzen - und es werden mehr. Das Augenmerk der Autorin gilt weiter den leuchtenden Schulbeispielen gerade auch in der Emscherzone - noch sind es zu wenige, aber sie können Vorbild sein.

Die Autorin sieht die Chancen des Wiederaufstiegs der Region daher im Wissenserwerb, im Wachsen des Selbstwertgefühls durch fordernde und anspruchsvolle Arbeit, im Durchhaltevermögen, im Eingehen von persönlichem Wagnis in einer Region, die bisher eher Wege der Abhängigkeit bot. Nicht der Billigkonsum und der unendliche Spaß der Eventisierung des Lebens, die die Gewöhnung an die immer neuen Niederungen erträglich gemacht haben, sind die Zukunft. Die Erneuerung muss von den nachrückenden Generationen getragen werden. Das aber sieht sie nicht allein als Ergebnis der noch bescheidenen Initiativen der Selbstqualifizierung, sondern auch als unverzichtbares Engagement der Ruhrwirtschaft und der Landespolitik zu einer stetigen Neuorientierung von Bildung und Qualifizierung.